Der kranke Baum
Der Herbst ist wieder kommen
Und hat den Wald entlaubt;
Wieviel er auch genommen.
Mir hat er nichts geraubt.
Ich trug ja keine Blüten,
Kein hoffnungsgrünes Blatt,
Da mich des Winters Wüten
Zu tief verwundet hat.
Wann hab ich ausgelitten?!
– Ein Sturmwind braust daher!
Erhört er meine Bitten,
So währt’s nicht lange mehr.
– Theodor Fontane –
Der Text ist Gemeinfrei.
Quelle: Die Eisenbahn. Unterhaltungsblatt für Volk und Haus.
Eigentlich muss man über den Kahlschlag sprechen
Mit einem kranken Baum assoziieren wir heutzutage Umweltverschmutzung, doch dieses Thema liegt dem jungen Theodor Fontane fern. Vielmehr tritt der kranke Baum an die Stelle des lyrischen Ichs.
Als das Gedicht „Der kranke Baum“ neben den Verszeilen „Wie kann´s auch anders sein!“ am 27. Januar 1840 im Berliner Figaro abgedruckt wurde,║1a befand sich der Dichter in Hochstimmung. Er hatte die Prüfung zum Apotheker bestanden,║2a seine Erzählung „Geschwisterliebe“ wurde schon zuvor ab dem 14. Dezember bis 21. Dezember 1839 in der genannten Zeitung als sechsteilige Fortsetzung abgedruckt;║1b kurzum, es ging ihm unglaublich gut. Woher kommt dann die Wehmut in seinem Gedicht?
Der Herbst wird seit langem als Synonym für den Abgesang des Lebens verwendet, leergefegte und nackte Bäume stehen dicht beieinander, verwendet, doch all das ist für das lyrische Ich belanglos. Sein Drama begann schon im Frühling. Während seine Artgenossen das Erwachen des Lebens feierten, als sie in eine neue Runde aufbrachen, konnte der kranke Baum erst gar keine Blüten entwickeln und somit war er nicht in der Lage, für eine Nachkommenschaft zu sorgen, er ist quasi nutzlos vielleicht gar wertlos. Der Winter war zu heftig.
Dass im 19. Jahrhundert die Winter strenger waren als heute, ist nichts Neues und dennoch fiel der Winter 1838 aus dem Rahmen, der Rhein war zugefroren.║3
Möglicherweise nahm Theodor Fontane diesen Winter als Anlass für sein Gedicht um etwas ganz anderes zu beklagen. Als junger politisch interessierter Mensch hat er von der Amtsenthebung der „Göttinger Sieben“ im November 1837 erfahren und es hat ihn wohl sehr beschäftigt.║1c Zugleich wurde die Handhabung der Zensur verschärft. Demnach kann man den kranken Baum auch als eine Metapher für den Kahlschlag innerhalb der Literaturwelt und im Journalismus interpretieren, und man kann einen direkten Bezug zwischen dem lyrischen Ich und Theodor Fontane herstellen.
All das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Themen wie Abschied und Wehmut dem damaligen Zeitgeist entsprachen.║2b
Der Auftakt ins Jahr 1840 war für Theodor Fontane gelungen, es sollten weitere Veröffentlichungen seiner Gedichte wie „Das Wasserröslein“, „Das letzte Lied“, „Im Wald“ und die Heldendichtung „Simsons Tod“ in der Satirezeitschrift Berliner Figaro folgen.║2c Er ahnte jedoch nicht, wie steinig sein Weg, vor allem in der Literatur, noch werden sollte.
Einzelnachweise:
1: Vgl. Roland Berbig: Theodor Fontane. Chronik, Walter de Gruyter – Berlin, New York – 2000
1a: S. 36
1b: S. 34
1c: S. 30
2: Vgl. Helga Bemmann: Theodor Fontane, Ullstein Buchverlage – Berlin 1998
2a: S. 25 f.
2b: S. 26
2c: S. 26
3: Vgl. Birgit Gargitter (₪): Vor fast 90 Jahren wurde auf dem Rhein Skat gespielt, Neue Ruhr Zeitung, 30.12.2016, zuletzt besucht am 30.03.2019