Res Nullius
Nachdem „Meßmers Gedanken“ (1985) und „Meßmers Reisen“ (2003) erschienen sind, liegt nun der dritte Band „Meßmers Momente“ in dieser Reihe vor.
Das dunkel gestaltete Cover des Buches „Meßmers Momente“ von Martin Walser deutet schon an, worum es gehen soll: um dunkle Stunden, ausgesetzt der eigenen Person und den eigenen Gedanken. Nur angedeutete Schnörkeleien geben den weiteren Hinweis: Andeutung von unterschiedlichen Themen. Mal kann man einzelne Buchstaben erkennen, die sich nach längerer Anschauung als Wiedergabe des Autorennamens und Titel entpuppen, mal sind blau-graue Ansätze zu sehen.
Wenn man das Buch aufschlägt, liest man auf der Seite, auf der üblicherweise ein Inhaltsverzeichnis zu finden ist, eine Widmung:
„Für Michael Felder
(1966 – 2012)“
Aha! Es soll also um Leben, Sterben und Tod handeln, und wenn man weiter blättert, sieht man drei Zitate: eines von Friedrich Hölderlin, eines von Robert Walser und eines von Franz Kafka. Diese Zitate bestärken den Eindruck des Covers und tatsächlich, die ersten Aphorismen sind von einer Schwere, so dass man diese in dunklen einsamen Stunden besser nicht lesen sollte. Diese Schwere, dieses Melancholische, dieses Depressive zieht sich durch das gesamte Buch.
In diesem Buch wird die Quintessenz diverser Prozesse dargestellt. Einige Aphorismen beschäftigen sich mit der Gefangenschaft: Teilweise handelt es sich um reelle Gefängnisse, meistens aber sind es die persönlich Inneren, das Gefangensein in sich selbst, das frei selbst gewählte innere Exil. Daneben werden teilweise historische Bezüge hergestellt, andere beschäftigen sich mit der Umweltkatastrophe oder mit Wörtern.
Es werden sehr unterschiedliche Themen angesprochen, aber immer nur wie mit einer Stecknadel in etwas hineingestochen.
Einige Gedankensplitter hätten gut von Erich Fried oder Hans Kruppa sein können, manche erinnern einen an Bertolt Brecht.
Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Schriftsteller Martin Walser zeigt, dass er die Klaviatur der Kritikäußerung durchaus beherrscht. Eines davon wird wahrscheinlich einen Großteil des Literaturbetriebs aus der Seele sprechen:
„Wenn einer nicht sein Leben gelebt hat,
sondern das eines anderen,
und dann schreibt er eine Autobiografie.“
Martin Walser: Meßmers Momente, S. 21
Martin Walser wird wohl keine Autobiografie veröffentlichen, stattdessen sind seine Tagebücher im Umlauf.
Aphorismen sollen dem Leser helfen, über sich und / oder bestimmte Themen nachzudenken, doch was macht man, wenn ein(ige) Gedankensplitter aus einer Erkenntnis besteht, die schon lange, sehr lange kursiert und von einer Größe wie Martin Walser stammt? Soll man es benennen und sich der Gefahr aussetzen, dass Fans über einen in verbaler Form herfallen? Oder wenn Aphorismen so allgemein gehalten sind, dass man darin alles oder nichts lesen kann, wie zum Beispiel:
„Beim befestigen der Betten, die sich aus der
Halterung an den Fußenden gelöst hatten,
bekam ich Nasenbluten.“
Martin Walser: Meßmers Momente, S. 84
Falls Menschen mit verbaler Attacke über einen herfallen, kann man dann achselzuckend antworten:
„Wenn mich einer anrempelt, sage ich: Entschuldigung.“
Martin Walser: Meßmers Momente, S. 62
Wenn ein Martin Walser das schreibt, dann muss es wohl eine tiefere Bedeutung geben. Die immer wiederkehrenden stilistisch schlechten Angewohnheiten von zwei identischen aufeinanderfolgenden Worten, die durch ein Komma getrennt sind (beispielsweise. Seite 19 „wäre, wäre“, Seite 43 „muss, muss“) müssen wohl auch eine Bedeutung haben. Martin Walser gibt einem den Ratschlag, den man auf jeden Fall ernst nehmen sollte, wenn man auf der Suche nach einer tieferen Bedeutung ist:
„Hör auf, verstehen zu wollen,
was dir gesagt wird.“
Martin Walser: Meßmers Momente, S. 33
Bibliographische Angaben:
Martin Walser: Meßmers Momente
Belletristik / Aphorismen
104 Seiten
gebunden
erstmalig erschienen: 08.03.2013
Verlag: Rowohlt
ISBN 978-3-498-07383-1
Preis: 14,95 € (D)